Stur, dumm oder einfach nur Pferd? Was hinter unerwünschtem Verhalten von Pferden wirklich steckt
- Janine

- 11. Sept.
- 5 Min. Lesezeit

"Setz dich doch mal durch!"
"Der ist heute aber wieder bockig!"
"Das ist halt ne Stute - dass die so giftig ist, ist doch normal!"
Solche oder ähnliche Sätze kommen dir bekannt vor? Mir leider auch. Das Pferd bleibt plötzlich stehen, ignoriert jede Hilfe, dreht sich um oder läuft einfach in die entgegengesetzte Richtung. Schnell wird dann unterstellt „Der macht das mit Absicht!“ Doch so menschlich dieses Verhalten auch wirken mag – die Wahrheit ist: Pferde sind kognitiv gar nicht in der Lage, uns willentlich zu ärgern oder sich absichtlich „dumm“ zu stellen. Warum dies so ist und warum sich dein Pferd verhält wie es sich verhält, verrate ich dir im folgenden Beitrag:
🧠 Pferdegehirn ≠ Menschengehirn
Pferde sind hochsensible Fluchttiere mit einem stark ausgeprägten Instinktverhalten. Ihre Gehirnstruktur unterscheidet sich grundlegend von der des Menschen: Im Pferdegehirn ist das Kleinhirn deutlich ausgeprägter als das Großhirn. Das Kleinhirn ist quasi das Steuerungszentrum für die sogenannte Willkürmotorik - also Dinge die im Körper automatisiert ablaufen, wie in etwa die Aussteuerung von Gleichgewicht und Koordination sowie die schnelle Auslösung von Reflexen und Instinktverhalten. Unser menschliches Hirn ist anders konstruiert - bei uns ist das Großhirn deutlich präsenter, wodurch wir zum Beispiel komplexe Zusammenhänge verstehen, vorausschauend planen und Emotionen deutlich besser differenzieren können als ein Pferd.
Was wir daraus lernen:
Kein komplexes Ich-Bewusstsein: Pferde haben kein Selbstkonzept wie wir. Sie erkennen sich nicht im Spiegel und können keine bewusste Täuschung planen.
Keine strategische Manipulation: Ihnen fehlt die Fähigkeit zu abstraktem Denken, das nötig wäre, um gezielt zu überlisten oder zu provozieren.
Reaktion statt Absicht: Was wir als „Sturheit“ interpretieren, ist oft eine willkürlich gesteuerte Reaktion auf Stress, Unsicherheit oder Missverständnisse in der Kommunikation oder der Aufgabenstellung.
Das Problem dabei: Wir Menschen neigen dazu, dem Pferd zu unterstellen dass es denkt wie wir. Das weißt du nun besser! Wenn dein Pferd im Training also nicht so reagiert, wie du es gern hättest, such den Fehler nicht beim Pferd, sondern bei dir oder im direkten Umfeld!
💬 Verhalten ist Kommunikation
In dem Moment, in dem dein Pferd sich nicht wie gewünscht verhält, teilt es dir mit: Ich kann gerade nicht machen, was du von mir verlangst. Warum das so ist, kann ganz verschiedene Gründe haben:
Missverständnisse in der Mensch-Pferd-Kommunikation
Das Pferd versteht einfach nicht, was der Mensch möchte und reagiert dann verunsichert oder "bockig". Dies kommt sehr häufig vor und basiert in der Regel auf unklarer Hilfengebung. Stell dir also gerne die Frage
"Habe ich meinem Pferd die Aufgabe so erklärt, dass es sie versteht?"
Dabei kann es hilfreich sein, sich zum Beispiel bei der Arbeit mit dem Pferd filmen zu lassen und das Video im Anschluss zu analysieren. Häufig sind es subtile Fehler, die dir im ersten Moment gar nicht bewusst sind wie zum Beispiel eine bremsende Einwirkung deines Körpers obwohl du eigentlich vorwärts reiten / führen wolltest.
Überforderung und Angst
Die Lernbereitschaft eines Pferdes hängt maßgeblich mit seiner Gefühlswelt zusammen. Pferde lernen am Besten dann, wenn sie entspannt, also im sogenannten Parasympathikus oder im "Ruhemodus" sind. Stress wiederum triggert den Sympathikus - den Fluchtreflex des Pferdes - und hemmt gleichzeitig die Lernfähigkeit (mehr dazu findest du in meinem Artikel zum Thema Stress). In aller Kürze: Bei Stress werden Hormone freigesetzt, die überlegtes Handeln sowie eine Kontrolle des Fluchtreflexes verhindern und damit dafür sorgen können dass das Pferd zum Beispiel losrennt oder "aufmüpfig" wird. Reagiert dein Pferd so, war die Situation somit vielleicht für das Pferd bedrohlich oder zu komplex.
Ein Beispiel: Ein Pferd bleibt vor einer Pfütze stehen und weigert sich, weiterzugehen. Für den Menschen sieht das aus wie Trotz – für das Pferd ist es vielleicht ein potenzielles „Loch“, das es nicht einschätzen kann. Es handelt aus Vorsicht, nicht aus Widerstand. Macht der Mensch nun zusätzlich Druck überwiegt der Stressfaktor und das Pferd schaltet auf Flucht - es reißt sich los oder bringt andere "Special Effects".
In diesem Fall kann es Sinn machen, sich
für die Aufgabe mehr Zeit zu nehmen oder
die Aufgabe in kleinere Teilschritte aufzubrechen und so durch kleinschrittigeres Lernen das Pferd positiv zu begleiten.
Blockierende Umgebungsfaktoren
Ein weiterer Punkt, der oft übersehen oder unterschätzt wird, ist die Frage nach einer entspannten Lernumgebung. Seid ihr gerade in einer Trainingssituation, in der dein Pferd überhaupt in der Lage ist, zu lernen?
Wieder ein Beispiel: Es stürmt und dein Pferd ist von den Außenreizen abgelenkt. Es ist nicht in der Lage sich auf die komplexe Aufgabenstellung wie zum Beispiel eine koordinativ anspruchsvolle Übung zu konzentrieren und reagiert mit Übersprungshandlungen wie Bocken oder Losrennen.
Auch hier haben wir wieder den Stress als auslösenden Faktor. In so einem Fall kann es helfen
eine Pause einzulegen, bis "die Gefahr" vorbei ist,
einige Runden entspannt Schritt zu reiten oder zu führen
selbst ruhig zu atmen oder sogar zu singen (singen entspannt nachweislich unseren Körper und damit auch unser Pferd. Dabei musst du keine Angst haben: bei wenig Gesangstalent reicht auch ein entspanntes vor sich hin summen)
Anhalten und dein Pferd z.B. ruhig kraulen oder abstreichen – beides hat einen entspannenden Effekt (Achtung: Manche Pferde wollen auch in Bewegung bleiben. Möchte dein Pferd als partout nicht stehen bleiben darfst du auch im ruhigen Schritt weitergehen und z.B. dabei sachte am Hals oder Widerrist kraulen)
Negative Erfahrungen
Manchmal basiert das Verhalten auch auf erlernten Mustern aus der Vergangenheit. Ein Pferd, das beispielsweise schlechte Erfahrungen beim Hängerfahren gemacht hat, wird sich beim nächsten Verladen ggf. weigern, den Hänger erneut zu betreten und einige Zeit brauchen, bis es diesen wieder mit Entspannung in Verbindung bringen kann. Negative Erfahrungen zu "überschreiben" ist dabei oft langwierig und benötigt einen durchdachten Plan (Hier haben wir wieder das Stichwort "Überforderung"), sowie Geduld und einen routinierten Menschen, der das Pferd wieder positiv abholen kann.
Schmerzverhalten
Auch dies ist ein Punkt, der ganz häufig unterschätzt wird. So hatte ich gerade erst ein Pferd im Training, welches partout nicht linksherum an der Longe laufen wollte. Sturheit? Falsches Training? "Kein Bock?" - Fehlanzeige. Das Pferd hatte einen ernst zu nehmenden Befund und zeigte das beschriebene Verhalten nach der Behandlung durch den Tierarzt nie wieder.
Dabei zeigen Pferde Schmerzen nicht erst dann, wenn sie unberechenbar werden. Dies ist in der Regel der letzte Ausweg, weil der Mensch vorher einfach nicht zugehört hat. Vorher gibt es in der Regel bereits mehrere kleine, subtile Anzeichen dafür, dass ein Pferd gerade ein gesundheitliches Problem hat und schmerzbedingt die Leistung nicht abrufen kann. So kann auch ein "nicht vorwärts wollen", häufiges im falschen Galopp anspringen oder davoneilen Ausdruck von Schmerzen sein.
Du möchtest dein Pferd besser "lesen" können und wissen, ob eventuell ein Schmerzverhalten Grund für Rittigkeitsprobleme und Co. sein könnte?
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Schmerzanzeichen beim Pferd erkennen mit dem Schmerz-Ethogramm nach Dr. Sue Dyson
🧘♀️ Was wir daraus lernen können
Statt dem Pferd menschliche Motive zu unterstellen, lohnt sich ein Perspektivwechsel:
Geduld statt Frustration: Verhalten ist immer Kommunikation – auch das vermeintlich „störrische“.
Vertrauen statt Kontrolle: Pferde reagieren auf unsere Energie, Körpersprache und Stimmung.
Verstehen statt bewerten: Wer sich die Zeit nimmt, das Verhalten zu hinterfragen, wird oft überrascht, wie logisch es aus Pferdesicht ist.
„Also: Dein Pferd ist kein kleines Monster im Fellkostüm. Wenn du das nächste Mal denkst, es macht sich über dich lustig – denk an diesen Artikel. Und dann atme tief durch, lächle… und frag dich, was es dir wirklich sagen will.“




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